Drei Zeitfaktoren entscheiden
Man kann es nicht oft genug betonen: Der überragende Faktor für eine langfristige Anlagestrategie, und damit auch für die Altersvorsorge, ist die Zeit. Zwei besonders positive Effekte stechen heraus: Erstens sinkt mit der Zeit systematisch das Schwankungsrisiko – mehr dazu, wie es dazu kommt, erfährst du hier. Zweitens verstärkt sich durch den Zinseszinseffekt ganz von allein das Kapitalwachstum. Es kommt aber auch ein kritischer Effekt hinzu: die Inflation. Denn auch die nimmt im Lauf der Jahre immer mehr Fahrt auf – und frisst gewissermaßen einen Teil des Anlageerfolgs auf.
Wie aber wirken sich nun der Zinseszinseffekt und die Inflation zusammen auf deine Rendite aus? Um das genauer zu ergründen, machen wir ein Gedankenexperiment: Stell dir vor, du bist gerade 20 Jahre alt geworden, deine Urgroßmutter ist gestorben und hat dir 5.000 Euro hinterlassen. Du überlegst kurz, mit dem Geld für drei Wochen auf die Seychellen zu fliegen – bleibst dann aber doch auf dem Boden, sparst dir den Urlaub und kaufst sattdessen einen preiswerten Aktienfonds.
Wir spulen 50 Jahre vor und schauen, was aus dem Geld für die verpasste Traumreise geworden ist. Sind es 50.000 Euro? 100.000 Euro? Oder gar noch mehr?
Um das zu beantworten, ist es unumgänglich, ein paar Annahmen zu treffen. Schließlich weiß niemand, was die Zukunft wirklich bringt. Rechnen wir also mit Aktienerträgen von jährlich 8,4 Prozent. Das entspricht dem Ertrag mit deutschen Standardaktien während der Jahre 1974 bis 2024, so dass wir eine gewisse Hoffnung hegen, nicht ganz danebenzuliegen mit unserer Kalkulation. Unter dieser Voraussetzung erblicken wir nun im Alter von 70 Jahren im Depotauszug die schöne Summe von 282.120 Euro. Das damals zurückgelegte Erbe hat sich mehr als verfünfzigfacht.
Aus einer Traumreise werden 50? Nicht ganz...
Der Verzicht auf eine einzige Traumreise mit Anfang 20 ermöglicht zu Beginn des Ruhestands also mehr als 50 tolle Reisen? Nicht ganz. Erstens haben wir uns zur Vereinfachung nicht um Kosten und Gebühren geschert, die die Rendite schmälern können. Und dann lassen wir auch die Steuern beiseite, die auf Kapitalerträge anfallen. Das wären im Moment gut 25 Prozent – wie sich das entwickelt, lässt sich aber noch schwerer einschätzen als die künftige Rendite.
Aber selbst ohne Kosten und Steuern wirken gut 280.000 Euro nach weitaus mehr, als sie sind. Denn der Zahn der Zeit nagt am Geld: Jahr für Jahr verteuern sich Miete und Milchcafé, Monatsticket, Flugpreise und Hotel. Besser bewerten lässt sich das Sparresultat daher, wenn man (r)ausrechnet, wie viel man sich von diesem Geld in der fernen Zukunft überhaupt noch leisten kann.
Dazu braucht es wiederum Annahmen – denn auch das weiß leider niemand ganz genau. Wir schätzen also erneut: Auf lange Sicht könnten die Preise jedes Jahr um zwei Prozent steigen. Das entspricht dem sogenannten Inflationsziel, das sich Geldpolitiker weltweit vornehmen, ist also ebenfalls nicht völlig aus der Luft gegriffen. Diese Inflation bedeutet über die Jahrzehnte nun eine brutal hohe Entwertung: Ein Euro heutiger Kaufkraft ist in 50 Jahren bloß noch so viel wert wie 36 Cent. Anders gesagt: In 50 Jahren kostet das Leben allein wegen der gestiegenen Preise fast das Dreifache. So schrumpft die Kaufkraft der gut 280.000 Euro auf noch 102.000 Euro aus heutiger Warte. Es reicht in 50 Jahren also – vor Steuern – noch für 20 ähnlich große Reisen. Das ist nicht mehr ganz so beeindruckend, aber realistischer.
Später erben kostet Rendite
Spannend wird die Sache, wenn dieselbe Erbschaft dich erst mit 30 oder 40 Jahren erreicht. Dann nämlich sieht die Rechnung deutlich schlechter aus. In 40 Jahren Spardauer können die 5.000 Euro nämlich bloß zu 125.934 Euro anwachsen – davon bleiben abzüglich der Inflation gut 56.000 Euro. Und in 30 Jahren kämen gerade mal 56.215 Euro zustande, oder nach Inflation um die 30.000 Euro. Du bräuchtest also zehn Jahre später ein doppelt so hohes und zwanzig Jahre später ein mehr als drei Mal so hohes Erbe, um dasselbe Sparziel zu erreichen.
Fazit: Die Zeit wirkt auf das Geld wie der Schubantrieb einer Rakete. Der Start wirkt wie in Zeitlupe, dann aber beschleunigt sich die Fahrt immer mehr. Es kommt zum sogenannten Zinseszinseffekt, oder mathematisch ausgedrückt zum exponentiellen Wachstum. Die Inflation bremst diesen Antrieb zwar durch Reibung. Sie hält die Rakete aber keinesfalls auf.








